Die Leistungen der Wiener Schlichtungsstellen in Wohnrechtsangelegenheiten
Schlichtungsstellen in Mietrechtsangelegenheiten sind in einer Reihe österreichischer Gemeinden, so auch in der Gemeinde Wien, eingerichtet. Sie haben gemäß § 39 Mietrechtsgesetz (MRG) die Aufgabe, die Gerichte in ihrer Tätigkeit zu entlasten. Zu diesem Zweck ist ein Mietrechtsverfahren zwingend zuerst bei der Gemeinde - bei der entsprechenden Schlichtungsstelle - anhängig zu machen, so weit die strittige Angelegenheit einen Gegenstand betrifft, der in § 37 Abs. 1 MRG geregelt ist. Durch diese Bestimmung geregelte Materien betreffen etwa die Anerkennung als Hauptmieter, Konflikte, die aus der Durchführung von Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten am Mietobjekt entstehen, Streitigkeiten über die Höhe bzw. Angemessenheit des Hauptmietzinses oder der Betriebskosten oder Streitigkeiten wegen Rückzahlungen von verbotenen Leistungen und Entgelten.
Erst wenn das Verfahren vor der Schlichtungsstelle geführt wurde, besteht für jene Partei, die mit der Entscheidung nicht einverstanden ist, die Möglichkeit, das zuständige Bezirksgericht anzurufen, um das Verfahren fortzusetzen. Wird allerdings nicht binnen drei Monaten durch die Schlichtungsstelle entschieden, kann jede Partei gemäß MRG gleichfalls das zuständige Bezirksgericht anrufen und die Sache dort anhängig machen.
Die Dokumentation und sozialwissenschaftliche Analyse der Leistungen der Wiener Schlichtungsstelle in Wohnrechtsangelegenheiten samt ihren Außenstellen im Laufe eines Kalenderjahres ist Gegenstand dieses Projekts.
Ergebnisse
Die Studie hat eine Reihe empirischer Ergebnisse erbracht. Einige davon seien hier kurz dargestellt:
Im Untersuchungsjahr 2000 wurden in der magistratsinternen Datenbank PAM3 10.973 einschlägige Akten angelegt. Von dieser Grundgesamtheit ausgehend konnte in 8.518 Fällen ermittelt werden, ob Mieter oder Vermieter den Antrag bei der Schlichtungsstelle eingebracht haben. Die Untersuchung ergab, dass in 9 von 10 Fällen (89 %) Anträge von Mietern bei den Schlichtungsstellen gestellt wurden.
Die Anliegen der Mieter beziehen sich überwiegend auf die Nichtanerkennung des vorgeschriebenen Zinses (42% des Gesamtanfalls bei der Schlichtungsstelle), der Betriebskosten (31%) oder auf Streitigkeiten aus gezahlten Ablösen (5%).
Streitigkeiten, die aus "§18-Sanierungen" entstehen (10% aller Anträge), werden ausschließlich von Vermietern eingebracht. Anträge aus dem Titel "EVA" (Erhaltungs- und Verbesserungsarbeiten) (8%) können aufgrund der Aktenlage nicht eindeutig der einen oder anderen Seite zugeordnet werden.
Die Studie kommt zum Ergebnis, dass Mieteranliegen länger dauern: Innerhalb von drei Monaten sind ca. ein Fünftel (19%) der Mieteranträge erledigt, gegenüber 63% auf Seiten der Vermieter. Große Unterschiede zeigen sich bei der Art der Erledigung der Anträge: Sind Mieter Antragsteller, so wurde seitens der Behörde in einem Viertel der Fälle "in der Sache entschieden" und in gleichem Umfang kam es zu einem Vergleich. Sind hingegen Vermieter Antragsteller, so entschied die Behörde in 8 von 10 Fällen inhaltlich, und ein Vergleich ist hier eine marginale Option (0,2%). Diese Differenzen führen wir auf die unterschiedlichen Inhalte zurück, die seitens der Mieter bzw. Vermieter eingeklagt werden.
Antragsgegner von Mietern waren in 37% die Gemeinde Wien (Wiener Wohnen), in 60% waren private Vermieter Antragsgegner und in einem geringen Ausmaß (2%) "sonstige Vermieter", wie z.B. die Katholische Kirche oder andere Organisationen, die als "atypische" Vermieter in dieser Kategorie zusammengefasst wurden. Ein Prozent der Antragsgegner fiel schließlich in die Rubrik Gemeinnützige.
Der Studie ist ferner zu entnehmen, dass Mieter in Verfahren gegen die Gemeinde Wien vergleichsweise selten professionell rechtlich vertreten sind, während Mieterinteressenvertretungen in Verfahren gegen private Vermieter quantitativ große Bedeutung haben.
Wenn Mieter die Gemeinde Wien klagen, so hauptsächlich aus Streitigkeiten wegen der Betriebskosten (38%) oder über die Höhe des Zinses (51%); werden private Vermieter geklagt, betragen die entsprechenden Werte 33% (Betriebskosten) und 45% (Zinshöhe).
Auch in diesen auf Geldbeträge gerichteten Verfahren sind Vermieter in der Durchsetzung ihrer rechtlichen Interessen erfolgreicher als Mieter; freilich ist auch hier wieder zu beachten, dass unterschiedliche Rechtsmaterien den Streitgegenstand bilden: Als Antragsgegner verlieren Mieter die Verfahren in 9 von 10 Fällen, Mieter als Antragsteller gewinnen ihre Verfahren gegen die Gemeinde Wien in rund sechs von zehn Fällen (stattgegeben oder teilweise stattgegeben), gegen private Vermieter in etwas mehr als in sieben von zehn Verfahren.
Am Ende der Studie wurde der Versuch unternommen, die in der Stichprobe ermittelten Eurobeträge auf alle Verfahren im Untersuchungsjahr 2000 für die Gemeinde Wien und für private Vermieter hochzurechnen. Es wurden zwei Schätzmodelle mit ähnlichen Resultaten angewendet: demnach haben die privaten Vermieter jährlich mindestens 8 Millionen Euro rückzuerstatten, die Gemeinde Wien rund 400.000.- Euro.
Im Durchschnitt haben Private vor allem höhere Beträge aus den Titeln "Betriebskosten" und "Zinsen" rückzuerstatten. Dazu kommt noch, dass gegen die Gemeinde Wien in der Kategorie "Ablösen" keine, in jener der "EVA" lediglich zwei Verfahren in der Stichprobe im Untersuchungsjahr geführt wurden, während private Vermieter häufig mit diesen Verfahren konfrontiert sind, die im Ergebnis zu hohen Rückzahlungen führen.
Die Frage, ob die Wiener Schlichtungsstelle in Mietrechtsangelegenheiten ihre vom Gesetz definierte Aufgabe (§ 39 MRG), die Gerichte in ihrer Tätigkeit zu entlasten, optimal erfüllt, kann im Rahmen dieser ausschließlichen quantitativen Studie, die sich nur auf die Auswertung elektronisch gespeicherter Akten der Gemeinde stützen konnte, nicht abschließend beantwortet werden. Stellt man allerdings in Rechnung, dass im Untersuchungsjahr 2000 fast 11.000 Akten von der Wiener Schlichtungsstelle angelegt wurden und dass in diesem Jahr demgegenüber nur 2.102 Verfahren durch die Wiener Bezirksgerichte als Gerichte erster Instanz in Mietrechtsangelegenheiten erledigt wurden, so wird man wohl zum Schluss gelangen können, dass die Schlichtungsstelle - rein quantitativ gesehen - eine beträchtliche Anzahl von anfallenden Verfahren von den Bezirksgerichten fernhält und damit ihre gesetzlich definierte Filter- und Entlastungsfunktion erfüllt.