Brandverhalten von Grünfassaden in großmaßstäblichen Versuchen (2020)

Begrünungen, unter anderem Fassadenbegrünungen, sind notwendig, um den vielzitierten Veränderungen des Klimawandels in Städten entgegen zu treten. Aufbauend auf den Erkenntnissen der Studie 2018, untersucht diese Studie das Verhalten von Fassadenbegrünungskonstruktionen im Brandfall, um weitere einfache brandschutztechnische Regeln für diese Konstruktionen formulieren zu können.

Ausgangslage

Mittlerweile ist in Mitteleuropa und ganz besonders in Wien gesellschaftlicher Konsens, dass neben anderen Maßnahmen auch Begrünungen notwendig sind, um den vielzitierten Veränderungen des Klimawandels in Städten entgegen zu treten. Fassadenbegrünungen sind dabei eine der Möglichkeiten, mehr städtische grüne Infrastruktur zu schaffen.

Oftmals wurde und wird der Brandschutz als einer der Hemmschuhe für die Errichtung von Fassadenbegrünungen genannt. Daher hat die Stadt Wien und federführend die Prüf-, Inspektions- und Zertifizierungsstelle (MA 39) im Auftrag der Wohnbauförderung und Schlichtungsstelle für wohnrechtliche Angelegenheiten (MA 50) im Jahr 2018 ein erstes großes Paket an großmaßstäblichen Brandversuchen von Fassadenbegrünungen durchgeführt, um das Verhalten von Begrünungen im Brandfall besser verstehen zu können. Der abschließende Bericht der damaligen Brandversuche (frei downloadbar unter https://www.wohnbauforschung.at/index.php?id=480) stellt einen Meilenstein in der Betrachtung des Brandschutzes von Fassadenbegrünungen dar und ist mittlerweile im gesamten mitteleuropäischen Raum von Zürich über Hamburg bis München Maßstab für die Planung und Ausführung von Fassadenbegrünungen. In Wien haben die Ergebnisse dazu geführt, dass erstmals und abgestimmt mit der Wiener Baupolizei – Kompetenzstelle Brandschutz (MA 37 – KSB) konkrete und schlüssige Anforderungen an den Brandschutz definiert wurden, die Eingang in den neuen Fassadenbegrünungsleitfaden der Abteilung Umweltschutz (MA 22) gefunden haben. So war es möglich, den angeblichen Hemmschuh signifikant zu verkleinern und die Errichtung von Fassadenbegrünungen zu forcieren.

Nichtsdestotrotz hat die Zeit nach Erscheinen der Studie gezeigt, dass zu einigen oftmals gewünschten Konstruktionsarten von Fassadenbegrünungen noch keine belastbaren Daten zum Brandschutz vorliegen, sodass entschieden wurde, dass die MA 39 im Jahr 2020 diese nun vorliegende zweite Studie zum Thema erarbeitet – dankenswerterweise wieder im Auftrag der MA 50.

Zielsetzung

Ziel dieser Studie ist es daher, in insgesamt drei Arbeitspaketen weitere Fassadenbegrünungskonstruktionen großmaßstäblichen Brandversuchen auszusetzen und deren Verhalten zu beobachten, um im Idealfall weitere einfache brandschutztechnische Regeln für diese Konstruktionen formulieren zu können. Die drei Arbeitspakete lassen sich definieren als
  1. prüftechnischer Nachweis der Funktion einer im Fassadenbegrünungsleitfaden als nachweisfrei definierten Brandabschottung (Schutzziel Brandweiterleitung)
  2. erstmalige Versuche mit fassadengebundenen metallischen Trogsystemen unter Verwendung von Brandabschottungen unterschiedlicher Auskragungstiefen
  3. Versuche an vorgesetzten Begrünungen auf Rankhilfen mit Variation des Abstandes zwischen Fassadenoberfläche und Rankgerüst

Methodik

Für die großmaßstäblichen Brandversuche wurde wie schon in der ersten Studie das Brandszenario in Anlehnung an ÖNORM B 3800-5 (Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen, Teil 5: Brandverhalten von Fassaden - Anforderungen, Prüfungen und Beurteilungen) gewählt. Als angenommenes Szenario dient ein Vollbrand in einem Raum, der aus einem Fenster ausbricht und die anliegende Fassade angreift. Zur Beurteilung wird jener Beitrag zur Brandausbreitung herangezogen, den die gegenständliche Fassadengestaltung (Form, Baustoffe, Montagesysteme u. a.) zusätzlich zur stets vorhandenen Ausbreitung bietet. Als Brandlast wird dabei eine 25 kg schwere Fichtenholzkrippe verwendet.

Beurteilungskriterien sind dabei
  • die Brandausbreitung entlang der Fassadenbegrünung und
  • das Abfallen großer und/oder brennender Teile der Fassadenkonstruktion.

Insgesamt wurden sieben Großbrandversuche durchgeführt, wobei bei jenen mit der vorgesetzten Begrünung die Brandlast verdoppelt wurde, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass derartige Begrünungskonstruktionen etwa auch vor Loggien/Balkonbereichen mit eventuell abgelagerten brennbaren Materialien, die eine zusätzliche Brandlast darstellen, angebracht werden.

Ergebnisse

Alle Versuche bestätigten die wichtigste, in der ersten Studie formulierte Ergebnisinterpretation: Eine Entzündung der verholzten Triebe sowie der Blattmasse der Begrünung ist ab Temperaturen von ca. 500 °C zu erwarten, sodass jede brandschutztechnische Maßnahme dahingehend beurteilt werden muss, ob sie sicherstellt, dass Fassadenbegrünungen im Realbrandfall nicht diesen Temperaturen ausgesetzt sind. Beginnen Begrünungen zu brennen, so ist jedenfalls eine nach ÖNORM B 3800-5 unzulässige vertikale Brandweiterleitung zu beobachten. Wiederum zeigte sich, dass grundsätzlich jede Pflanze entzündet werden kann, egal welcher botanischen Gattung sie angehört.

Die genannten 500°C an der Begrünung zu vermeiden, gelang bei den durchgeführten Versuchen einerseits immer dann, wenn eine entsprechend weit auskragende Brandabschottung aus Stahlblech mit einer Dicke von 1,0 bis 2,0 mm waagrecht über der Brandkammer montiert war – unabhängig davon, ob sich darüber ein direkt an den Prüfstand montierter Efeu oder ein begrüntes Trogsystem befand.
Diese Brandabschottung bewirkt eine Ablenkung der Flammen, die aus der Brandkammer strömen und verhindert so einen direkten Flammenangriff auf die Fassadenkonstruktion. Was die Auskragungstiefe der Brandabschottung betrifft, so ist ein Maß von 20 cm über den äußersten Punkt der Begrünung, nunmehr prüftechnisch nachgewiesen, bei metallischen Trogsystemen funktioniert eine geringere Auskragung von 10 cm.
Der Brandversuch einer Aluminium-Trogkonstruktion ohne Brandabschottung verlief negativ, rein die metallische und damit grundsätzlich nichtbrennbare Ausbildung einer Trogkonstruktion ist also nicht ausreichend, es ist jedenfalls der Schmelzpunkt des Materials zu betrachten.
Was die vorgesetzte Konstruktion betrifft, so schafft man es dort andererseits mit einem gewissen Abstand von der Fassadenfläche, dass die „kritische“ Temperatur nicht erreicht wird. Es erscheint ein Abstand der Begrünung an einem metallischen Rankgerüst von mindestens 40 cm zur Fassadenoberfläche als adäquat. Der Versuch mit einem geringeren Abstand von 20 cm zwischen Rankgerüst und Fassadenoberfläche verlief negativ, eine gemäß ÖNORM B 3800-5 unzulässige Brandweiterleitung über die gesamte Begrünung war zu beobachten.

Ebenfalls wie bereits in der ersten Studie festgestellt, war bei keinem der Versuche ein Herabfallen von großen oder brennenden Teilen zu beobachten, ebenso spielte auch eine seitliche Brandweiterleitung – selbst bei den negativ verlaufenden Prüfungen – keine signifikante Rolle.

Weitere Schritte

Als Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der Versuche lassen sich seitens der MA 39 folgende Punkte anführen:

  • Die im Fassadenbegrünungsleitfaden definierte nachweisfreie Variante von Begrünungen in den Gebäudeklassen 4 und 5 mit einer geschoßweisen Abschottung aus einem 20 cm auskragenden, durchgehenden Profil aus Stahlblech (Dicke mind. 1,0 mm) ist prüftechnisch bestätigt und kann so beibehalten werden. Etwaige Lösungen mit geringeren Auskragungstiefen benötigen weiterhin einen prüftechnischen Nachweis.
  • Fassadengebundene metallische Trogsysteme auf metallischer Unterkonstruktion mit Edelstahlbefestigung an der Fassade entsprechen den brandschutztechnischen Schutzzielen an Fassaden in den Gebäudeklassen 4 und 5 dann, wenn auch sie mit einer geschoßweisen Brandabschottung aus einem 10 cm auskragenden, durchgehenden Profil aus Stahlblech (Dicke mind. 2,0 mm) ausgestattet sind.
  • Vor die Fassade vorgesetzte Begrünungsformen in Zusammenhang mit nichtbrennbaren (z.B. metallischen) Rankhilfen haben einen Mindestabstand von 40 cm zur Fassadenoberfläche oder zu einem Balkon o.ä. aufzuweisen, damit es über die Begrünung nicht zu einer Brandweiterleitung kommt.
  • Die Ergebnisse dieser Studie haben keine Auswirkungen auf die brandschutztechnischen Anforderungen an Fassadenbegrünungen für Gebäude mit einem Fluchtniveau von mehr als 22 m.
  • Weiterhin gilt: Fassadenbegrünungen sind zu pflegen und in einem vitalen, funktionalen Zustand zu erhalten (Bauwerksbuch, eindeutige Regelung der Zuständigkeit für Pflege und Erhaltung der Begrünung). Erforderliche Pflegemaßnahmen sind bereits in der Planung zu berücksichtigen und gegebenenfalls im Bauwerksbuch festzuhalten.

Diese Schlussfolgerungen aus den Versuchen sind nun mit den Expertinnen und Experten zum Thema zu diskutieren, um danach im besten Fall weitere einfache und klare Regelungen für die beschriebenen Konstruktionen im Fassadenbegrünungsleitfaden festzuhalten.

Dadurch wird es gelingen, eine noch größere Bandbreite an Begrünungskonstruktionen brandschutztechnisch sicher zu planen und zu errichten, um das Klima einer smarten Stadt zu verbessern - zum Wohle aller, die in ihr leben.


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