Auswirkungen der EU-Erweiterung auf den Wiener Wohnungsmarkt
Aufgabe der Studie war es, die Zahl der MigrantInnen bzw. PendlerInnen aus den beitretenden Ländern Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn, ihre Alters- und Einkommensstruktur, ihre Haushaltsgrößen sowie ihre Zuzugsdauer unter Berücksichtigung der entsprechenden Übergangsfristen nach der EU-Erweiterung zu prognostizieren. Daraus wurde die entstehende Wohnungsnachfrage nach Größe, Ausstattung, Lage, Rechtsform und Kosten nach den einzelnen Beitrittsländern ermittelt.
Zur Quantifizierung des zusätzlichen Wohnungsbedarfs in Wien wurde unter der Leitung eines Instituts für wirtschaftsanalytische Forschung eine empirische Erhebung in den vier MOE-Ländern Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn durchgeführt. Gleichzeitig wurden vor Ort ansässige wissenschaftliche Partnerinstitute mit der Durchführung von Interviews und Country-Reports beauftragt.
Aus der Analyse sekundärstatistischer, migrationsrelevanter Daten zu den Bereichen Demografie, Wohnversorgung, Arbeitsmarkt etc., der empirischen Erhebung in den Beitrittsländern sowie einer eingehenden Befassung mit bisherigen Migrationsstudien sowie der Einschätzung der Lage aufgrund von Experteninterviews in Österreich und den beitretenden Ländern wurden Migrationsszenarien und darauf aufbauend Szenarien zur Haushaltsentwicklung in Wien und dessen Umland entwickelt. Die Migrationsszenarien wurden in Abstimmung mit der Bevölkerungsprognose der Statistik Austria getroffen und enthalten darüber hinausgehend zwei Szenarien zur Abdeckung der Extremwerte von Zuwanderung oder Ab- bzw. Rückwanderung von MigrantInnen.
Es wurden ein Basisszenario und zwei Alternativszenarien berechnet. Gemäß Basisszenario sind als Folge der EU-Erweiterung jährlich zusätzlich rund 1.000 Haushalte aus Mittelost-Europa in Wien zu erwarten. Rund die Hälfte stammt aus Polen, die zweitstärkste Gruppe werden die SlowakInnen sein. Alternativ-Szenario 1 geht von einer verstärkten Rückwanderung von bereits in Österreich lebenden BürgerInnen aus Mittelost-Europa aus. Dies kann dann erfolgen, wenn sich die Beitrittsländer wirtschaftlich noch besser als erwartet entwickeln. Unter diesen Voraussetzungen resultiert immer noch eine zusätzliche Zuwanderung nach Wien, allerdings im Ausmaß von nur rund 500 Haushalten pro Jahr. Szenario 2 nimmt eine krisenhafte Entwicklung bei der Umstrukturierung der polnischen Landwirtschaft an. In einem solchen Fall würde der größte Teil der Migration zwar nach Deutschland und in die USA gehen, ein erheblicher Wanderungsschub würde aber auch Wien treffen. Das Szenario, das als Obergrenze einer einigermaßen wahrscheinlichen Entwicklung aufgefasst wird, geht von zusätzlich rund 4.000 Haushalten aus Mittelost-Europa pro Jahr aus. Der Hauptanteil sind dann natürlich ZuwanderInnen aus Polen.
Die FGW schließt sich bei ihren Migrationsszenarien für Wien den vorsichtigen Einschätzungen der Bevölkerungsprognose der Statistik Austria (Herbst 2003) an. Die Prognosen liegen damit bis zu einem Drittel unter den Vorhersagen älterer Studien.
In der Zusammenschau der Szenarien ist festzuhalten, dass die Auswirkungen der EU-Erweiterung auf die zusätzliche Haushaltsentwicklung in Wien mit einem Plus zwischen 500 und 4.000 Haushalten pro Jahr relativ eng begrenzbar ist.
Einem voraussichtlichen Wanderungssaldo von 3.000 bis 4.000 Haushalten pro Jahr im Basisszenario - davon 1.500 aus Mittelost-Europa - und einer Zunahme der Haushaltszahl durch Verkleinerung der Haushalte im Ausmaß von ca. 1.500 pro Jahr steht ein Abgang an Wohnungen durch Abriss und Zusammenlegung von zumindest 1.500 pro Jahr gegenüber. Unter der Annahme, dass die resultierende zusätzliche Wohnungsnachfrage allein durch Neubau gedeckt werden soll, bedeutet dies einen jährlichen Neubaubedarf von 6.000 bis 7.000 Wohnungen. Unter der Voraussetzung, dass wie in der Vergangenheit rund 90% des Neubaus durch Wohnbauförderungsmittel kofinanziert wird, bedeutet dies die Notwendigkeit, die Förderungszusicherungen auf jährlich 5.500 bis 6.500 Einheiten anzuheben.
Ausgehend von einer krisenhaften Entwicklung erfordert das Szenario 2 einen, gegenüber dem Referenzszenario erhöhten Bedarf von kurzfristig bis zu 3.000 Wohnungen pro Jahr. Es ist kaum sinnvoll, mittels vorbeugender Angebotsausweitung vorzusorgen. Nach Ansicht der FGW verfügt der Wohnungsbestand in Wien über ausreichende Reserven zur Bewältigung eines solchen Zuwanderungsschocks. Bei Eintreffen eines dem Szenario ähnlichen Ereignisses müssten umgehend Maßnahmen getroffen werden, um unter- bzw. fehlgenutzte Wohnungen verfügbar zu machen.
Bei der Einschätzung des zukünftigen Zustroms von PendlerInnen, GrenzgängerInnen und Saisonniers liegen bisherige Prognoseberechnungen und offizielle Daten sehr weit - im Verhältnis von 10:1 - auseinander. Dies mag z.T. an unzutreffenden Modellannahmen liegen. Mit der offiziellen Pendler-Statistik wird aber offensichtlich auch nur ein Teil des Pendlerstroms erfasst. Nicht-Tagespendler ohne Arbeitsbewilligung sind statistisch nicht erfasst und somit auch kaum prognostizierbar. Diese Gruppe deckt ihren Wohnbedarf überwiegend über den privaten Wohnungsmarkt. Um eine übermäßige Konkurrenzierung auf dem privaten Wohnungsmarkt zu vermeiden, sollten "offiziellen" MigrantInnen und PendlerInnen verstärkt Angebote im geförderten Bereich eröffnet werden.
Das bestehende Angebot an geförderten Wohnungen in Wien ist hinsichtlich Lage, Ausstattung und Preis zweifellos attraktiv und leistbar für ZuwanderInnen aus Mittel-Ost-Europa. Eine spezifische Herausforderung ist die Informationsvermittlung. Die Institution des Wohnungsberatungszentrums oder der gemeinnützigen Bauvereinigungen sind ZuwanderInnen meist nicht bekannt. Sie erwarten Information am ehesten über den Arbeitgeber bzw. über Zeitungsinserate.
Ein Hauptergebnis der Studie ist die starke Abhängigkeit der Migration aus den Beitrittsländern von der Beschäftigungsentwicklung in Wien und der Ostregion. Die Ostregion (W, NÖ, B) hat während der vergangenen 20 Jahre stets ähnliche Wachstumsraten bei der Beschäftigung gehabt wie Österreich als Ganzes. Seit 2000 droht eine Abkoppelung. Wien zeigt seit Mitte der neunziger Jahre rückläufige Beschäftigungszahlen. Bis 1999 konnte dies durch die positive Beschäftigungsentwicklung in Niederösterreich und dem Burgenland kompensiert werden. Seither stagnieren die Beschäftigtenzahlen in der Ostregion, während die anderen Regionen deutliche Zuwächse verzeichnen. Die Schere zur gesamtösterreichischen Entwicklung hat sich mittlerweile auf 0,5 bis 0,8 Prozentpunkte geöffnet.
Etwa 60% der in Polen gebürtigen und fast 50% der in der Slowakei gebürtigen ZuwanderInnen leben in Wien. Bei der Neu-Zuwanderung der neunziger Jahre kamen PolInnen und SlowakInnen nur zu 28% bzw. 26% nach Wien. Der bei weitem größere Teil ließ sich in Niederösterreich und ein sukzessive steigender Teil im Burgenland nieder. Migration hängt in zunehmendem Maße von der Verfügbarkeit von Jobs ab. Mehr noch: Ein wachsender Teil der MigrantInnen wird zukünftig eine Wanderung nur auf sich nehmen, wenn es konkrete Beschäftigungsangebote gibt. Bei den Migrationsszenarien für Wien wird von einer moderat positiven Entwicklung der Beschäftigung ausgegangen. Die MigrantInnen aus den MOE-Ländern verfügen über ein Ausbildungsniveau ähnlich dem der österreichischen Bevölkerung. Man kann dem gemäß von einer vergleichbaren Einkommensstruktur ausgehen.
Bevölkerungswachstum wird als Chance für eine Metropole aufgefasst, ihre internationale Geltung zu steigern und den Wohlstand für die heimische Bevölkerung zu erhöhen. Bei der Attraktivität als Wanderungsziel konkurriert Wien nicht in erster Linie mit anderen Metropolen, sondern mit den Bundesländern. Hier könnte die Attraktivität Wiens als Kulturstadt in Verbindung mit einem Wohnungsangebot mit sehr gutem Preis-/Leistungsverhältnis hoch qualifizierte Zuwanderung begünstigen.
Fakten- Projektträger
FGW - Forschungsgesellschaft für Wohnen, Bauen und Planen - Projektleitung/Bearbeiter
Wolfgang Amann
Birgit Schuster - Wissenschaftliche Partner-Institute:
Institut für Geographie und Raumplanung, Abteilung für Stadt- und Bevölkerungsgeographie an der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Warschau
Mariusz Kowalski, Dariusz Swiatek
Ministerium für Bauwesen und Regionalentwicklung, Bratislava
Elena Szolgayová
Institut für Geographie und Regionalentwicklung der Karlsuniversität Prag
Ludék Sýkora, Dusan Drbohlav
MRI - Metropolitan Research Institute, Budapest
Iván Tosics, Eszter Somogyi - Empirische Projektpartner:
Empirisches Leitinstitut:
TRICONSULT - Wirtschaftsanalytische Forschung GmbH, Wien
Projektleiter: Felix Josef
CBOS, Centrum Badania Opinii Spolecznej, Warschau
Projektleiterin: Barbara Badora
KMG, s.r.o., Bratislava
Projektleiter: Peter Korenek
Psyma Praha s.r.o., Prag
Projektleiter : Michal Barta
Inra Hungary, Cognative, Budapest
Projektleiter: Mihaly Takacs - Laufzeit
November 2002 bis Juli 2004 - Kontakt
office[at]fgw.at - Downloads
Abstract 53.04 KB
Projektbericht 2.65 MB