Wien wächst auch nach Innen
Wachstumspotentiale gründerzeitlicher Stadtquartiere

Das prognostizierte Bevölkerungswachstum Wiens von ca. +200.000 Ew. bis 2035 stellt nicht nur die Bezirke mit Stadterweiterungsgebieten vor Herausforderungen, sondern auch die bereits dicht bebauten Stadtquartiere entlang des Süd- und des Westgürtels. Diese sogenannten Stadterneuerungsgebiete, leisteten bereits in den letzten 10 Jahren einen wesentlichen Beitrag zum Stadtwachstum (+50.000 Ew. seit 2001). Diese Entwicklung ist für die Wiener Stadterneuerung gänzlich neu, denn bis 2001 ist die Bevölkerung in den Stadterneuerungsgebieten tendenziell geschrumpft.

Paradigmenwechsel in der Stadterneuerung

In Zukunft gilt es daher den Fokus der „sanften Stadterneuerung“ stärker auf den Erhalt und Ausbau der sozialen Mischung und der Nutzungsmischung zu richten, da die bisherigen Strategien der „sanften Stadterneuerung“ – Aufwertung und Attraktivierung für kaufkräftigere Bewohner/innen – zu Selbstläufern geworden sind. Es überlagern sich in vielen gründerzeitlichen Quartieren folgende zwei Effekte:

Erstens der Zuzug von neu in der Stadt Ankommenden (Gründerzeitviertel als arrival space) und zweitens der Zuzug bzw. Umzug von zahlungskräftigeren Schichten (Gründerzeitviertel als attraktive Wohnstandorte). Das sensible Ausbalancieren dieser beiden Effekte wird die Herausforderung der Stadterneuerung in den kommenden Jahrzehnten sein, denn die Qualität der gründerzeitlichen Quartiere liegt vor allem in ihrer ausgewogenen sozialen Mischung. Und diese braucht eine eben solche Mischung an unterschiedlichsten Wohnqualitäten. Nur so sind die gründerzeitlichen Stadtquartiere in der Lage einen Ausgleich zwischen stabilen und dynamischen Bevölkerungsgruppen herzustellen.

Stadterneuerung in einer wachsenden Stadt

Stadtwachstum ist eine gesamtstädtische Aufgabe und muss daher von der Stadt und der Stadtgesellschaft als gesamtes bewältigt werden. Für die gründerzeitlichen Stadtquartiere bedeutet das, dass sie ebenso wie die Stadterweiterungsgebiete am Stadtrand einen angemessen Beitrag zum Stadtwachstum leisten müssen. Die Stadterneuerung muss daher Strategien entwickeln, die die Schaffung von neuem Wohnraum durch Sanierung, Dachgeschoßausbau und Aufstockung fördern, die aber auch leistbaren und leicht zugänglichen Wohnraum erhalten bzw. neu schaffen. Die gleichzeitige Funktion der gründerzeitlichen Stadtquartiere als „arrival space” und „attraktiver Wohnstandort” muss auch in Zukunft gewährleistet werden.

Bevölkerungswachstum ist wahrscheinlich und darf nicht ignoriert werden

Aufgrund der Erfahrungen aus den vergangenen zehn Jahren (zwischen 2001–2011 fanden 40 Prozent des Stadtwachstums in gründerzeitlichen Stadtquartieren statt) und den vorhandenen baulichen Reserven (lt. derzeit gültigem Flächenwidmungs- und Bebauungsplans) ist auch in den nächsten Jahren mit einem Bevölkerungswachstum in der Gründerzeitviertel zu rechnen. Aus Sicht der Stadterneuerung (GB*7/8/16) ist daher jetzt eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Bevölkerungswachstum in der dicht bebauten Stadt“ nötig um rechtzeitig Instrumente, Strategien und Verfahren der Stadterneuerung an die neuen Rahmenbedingungen einer wachsenden Stadt anzupassen.

In welchem Ausmaß Bevölkerungswachstum in gründerzeitlichen Stadtquartieren stattfindet, hängt letztlich auch davon ab, wie „erfolgreich” die Potentiale der Stadterweiterung entwickelt werden (bzw. auch aufgrund finanzieller Mittel entwickelt werden können) und ob auch „Wachstumspotentiale“ in anderen Siedlungstypen (Siedlungen der 1950er–70er Jahre) aktiviert werden können. Unter diesen Umständen ist es möglich, „Druck“ von Gründerzeitviertel zu nehmen, nicht aber in einem Ausmaß, dass bauliche Veränderungen und die Aktivierung von Wachstumspotentialen in den Gründerzeitviertel gänzlich obsolet werden. Es wird – und es soll – Innenentwicklung stattfinden, da es sich dabei um eine ökologisch und ökonomisch günstige Form des Stadtwachstums handelt, die im Unterschied zu großen Stadtentwicklungsprojekten – bei sinkender Nachfrage – auch rasch wieder „zurückgefahren“ werden kann.

Darüber hinaus hat die Erneuerung von bereits über 100 Jahre alten Bestandsquartieren auch langfristig Effekte. Die gründerzeitliche Stadt – sie darf nicht museal aufgefasst werden – wird für die nächste Generation gesichert und entsprechend den Bedürfnissen ihrer Bewohner/innen weiterentwickelt. Barrierefreiheit, geringerer Energieverbrauch, wohnunsbezogene Freibereiche wie Balkone oder Dachterrassen uvm. sind heute Standard und gelten als Qualität. Dementsprechend werden Adaptierungen an einzelnen Häusern und im gesamten Quartier vorgenommen.

Von der „sanften Stadterneuerung“ zur „sozial gerechten Innenentwicklung“

Stadterneuerung ist ein notwendiger und immerwährender Prozess, der aufgrund der Alterung von Gebäuden und auch gesellschaftlichen Veränderungen notwendig ist. Dass dieser Prozess in Wien zeitlich und räumlich sehr konzentriert stattfindet, liegt daran, dass vor allem in der Hoch- und Spätgründerzeit (1870–1914) in sehr kurzer Zeit ganze Stadtviertel mit sehr ähnlichen bautechnischen, hygienischen und räumlichen Standards errichtet wurden. Somit sind ganze Stadtviertel oder Stadtteile gleichzeitig „alt“ geworden und weisen sehr ähnliche „Mängel“ auf. Das macht die Stadterneuerung zu einer Herausforderung, da nicht einzelne Gebäude saniert werden müssen, sondern ganze Stadtviertel! Die Stadt Wien stellt sich seit bald 40 Jahren mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und mit unterschiedlicher Intensität dieser Herausforderung und unterscheidet sich deshalb sehr wesentlich von anderen Städten. Stadterneuerung kann auch durch private Akteur/inn/e/n betrieben werden, die allerdings viel mehr ökonomische Interessen in den Vordergrund stellen und stärkere Verdrängungsprozesse auslösen können.

Folglich skizziert der zweite Teil der vorliegenden Forschungsarbeit, wie das Wiener Modell der „sanften Stadterneuerung“ weiterentwickelt werden kann, um für die Herausforderungen, die auf Wien zukommen (könnten), vorbereitet zu sein. Innenentwicklung – also Stadtwachstum im bebauten Stadtgebiet – muss möglich sein und muss entsprechend der Prinzipien der „sanften Stadterneuerung“ gesteuert werden. Das heißt aber auch, dass Innenentwicklung – also Nachverdichtung – nicht per se ausgeschlossen werden darf. Ebenso darf es keinen Automatismus geben, der beispielsweise eine hohe bauliche Dichte oder eine schlechte Versorgung mit Freiflächen als Knock-Out-Kriterien für eine Aktivierung von Wachstumspotentialen festschreibt. Innenentwicklung muss zu einer wesentlichen Strategie der Stadterneuerung werden, denn nur so kann sichergestellt werden, dass der Einfluss der Stadt Wien auf die sozialpolitischen Aufgaben der Stadterneuerung bestehen bleibt und sie nicht zu einer rein technischen Aufgabe verkommt.

12-Punkte-Programm

Am Ende der Forschungsarbeit werden in einem 12-Punkte-Programm die wesentlichsten Maßnahmen zusammengefasst, wie auf unterschiedlichen Maßstabsebenen auf die Herausforderungen reagiert werden kann. Ziel ist es die gründerzeitlichen Stadtquartiere so weiter zu entwickeln, dass vor allem „soziale Mischung“ und „leistbarer Wohnraum“ erhalten bzw. gefördert werden und gleichzeitig neuer Wohnraum entsteht. Dafür sind vor allem gezieltere Fördermodelle nötig und eine größere Vielfalt an unterschiedlichen Wohnqualitäten, die dadurch initiiert werden.
Fakten
  • Projektträger
    ARGE Kaitna Smetana ZT GmbH
    HuB Architekten ZT GmbH
    SUPERBLOCK ZT GmbH
  • Projektteam
    Florian Brand
    Daniel Glaser
    Verena Mörkl
    Kurt Smetana
  • Laufzeit
    Jänner - Oktober 2013
  • Kontakt
    kurt.smetana[at]kaisme.at
  • Downloads
  • Abstract 76.45 KB
    Projektbericht 3.76 MB