Regionale Kooperationen im Großraum Wien

Vor dem Hintergrund der komplexen Herausforderungen einer sich dynamisch entwickelnden Stadtregion gewinnen regionale Kooperationsformen zuneh-mend an Bedeutung. Der Bereich Siedlungsentwicklung und Wohnen ist dabei besonders herausgefordert: Ziel ist es, die wachsende Bevölkerung mit leistbarem und qualitativ hochwertigem Wohnraum in guter Wohnumgebung zu versorgen.

Funktionell zusammenhängende Gebiete werden in der Bevölkerung ebenso als zusammenhängender Lebensraum empfunden. Administrative Grenzen sind in den Köpfen der Menschen kaum präsent und somit besteht auch ein geringes Verständnis für Unterschiede und Trennungen durch solche. Im poli-tisch-administrativen System gibt es aber keine entsprechende Planungs- und Handlungsebene für diese „Funktionsräume“. Die Notwendigkeit regionaler Kooperationen ist damit einhergehend heute praktisch unbestritten.

Damit Kooperation stattfindet, muss es gemeinsame Anliegen und Herausforderungen als Ausgangspunkt geben. Daher wurden im Rahmen der Studie zunächst Ziele, Interessen und Zukunftsbilder der Städte und Gemeinden in der Region erhoben. Zudem wurde erhoben, zu welchen Themen und in wel-chen Formen die Städte und Gemeinden derzeit zusammenarbeiten und wo die größten Potenziale für weitere Kooperationen gesehen werden. In einem weiteren Schritt wurde die Rolle der derzeit existierenden Kooperationsstruk-turen näher beleuchtet. Auf dieser Basis erfolgen Einschätzungen zu förderlichen und hemmenden Rahmenbedingungen ebenso wie zu zukünftigen Perspektiven und Ansatzpunkten insbesondere für die verstärkte stadtregionale Kooperation im Bereich Siedlungsentwicklung und Wohnen.

Für die Studie wurde eine qualitative Vorgangsweise gewählt, die unterschiedlichen Sichtweisen und Diskurse zum Thema regionale Kooperation in der Region abbilden und verständlich machen soll. Im Fokus der Studie steht das direkte Umland Wiens, da hier die größten Überschneidungen und Kooperati-onsmöglichkeiten vermutet werden.

Gemeinsame Ziele und Interessen

Die niederösterreichischen Gemeinden im direkten Wiener Umland sehen das prognostizierte Bevölkerungswachstum und damit einhergehende Veränderungen als zentrale Herausforderung der nächsten Jahre. Dabei beschäftigen sich die Gemeinden vorrangig mit Anpassungen und Planungen in den Bereichen Verkehr, Infrastruktur, Wirtschaft und Raumplanung.
In allen Bereichen spielen die Finanzen der Gemeinden eine essentielle Rolle. Die Investitionen und Aufwendungen, die notwendig sind, damit die Gemeinden die bestehende Qualität des Lebens- und Wohnraums erhalten, fortführen oder schaffen können ist eine übergeordnete Herausforderung aller Bereiche, die direkt mit dem potenziellen Bevölkerungswachstum einhergeht. Im Sinne eines positiven Zukunftsbildes wünschen sich die Gemeinden einen moderaten Zuzug, der es ermöglicht, den infrastrukturellen und den sozialstrukturellen Herausforderungen entsprechend zu begegnen sowie Identität und Gemeindecharakter zu erhalten.

Zwischen den Gemeinden und Städten in der Stadtregion gibt es einen breiten Konsens über die aktuellen Herausforderungen. Auch die Zielvorstellungen über die Entwicklungsrichtung im Sinne einer Verbesserung der Lebensqualität für eine wachsende Bevölkerung sind ähnlich, wobei verstärkt aus Wiener Sicht das Entstehen von leistbaren Wohnraum in der gesamten Stadtregion gewünscht wird. Die Gemeinden sehen dahingehend wenig Anreize und Motivation. Hingegen versuchen sie, das Bevölkerungswachstum langsam und moderat zu gestalten, um eine Überforderung im Bereich der infrastrukturellen Anforderungen und hinsichtlich der Sozialstruktur zu verhindern.

Formen und Themen der Zusammenarbeit

Jene Themenbereiche, in denen aus Sicht der niederösterreichischen Gemeinden Kooperation sinnvoll ist und in unterschiedlicher Form stattfindet, lassen sich in den Übergriffen Infrastruktur (technisch und sozial), Wirtschaft, Arbeit und Tourismus, Verkehr, Lebensqualität sowie Verwaltung zusammen-fassen. Kooperationsthemen sind dann für die Gemeinden interessant, wenn sie mit einer Reduktion des finanziellen, personellen und organisatorischen Aufwands der Gemeinden verbunden sind und zur Zufriedenheit der Bevölke-rung und dem Gemeinwesen beitragen. Tendenziell sind sie auf operative und funktionale Aspekte der unterschiedlichen Themen des Gemeindelebens fokussiert und weniger innovativ oder visionär als viel mehr pragmatisch und effizient zu charakterisieren.

Kooperiert wird von den Gemeinden in einer Vielzahl von Formen, dazu gehören Verbände, vom Land Niederösterreich geförderte kleinregionale Kooperationen genauso wie die regionale Leitplanung und verschiedene informelle oder organisierte Kooperationen. Die Gemeinden gehen diese freiwillig ein und erleben sie als konstruktiv, wobei die Ausgestaltung der Kooperationsformen sowie die wahrnehmbaren Vor- oder Nachteile für die Gemeinden und ihre Bevölkerung das entscheidende Kriterium für die Bewer-tung als positiv oder negativ sind. Den Gemeinden ist es ein großes Anliegen die Potenziale und Ressourcen in Kooperationen zu nutzen, jedoch gleichzeitig ihre Autonomie und Eigeninteressen bestmöglich zu sichern. Unabhängig von den konkreten Ergebnissen der Kooperationen wird der Kontakt und Austausch in jeder Form von Kooperation begrüßt, solange sich der zeitliche und finanzielle Aufwand für die Beteiligung in Grenzen hält.

Die Zusammenarbeit der niederösterreichischen Gemeinden mit Wien ist von der Asymmetrie zwischen einer Stadt mit 1,8 Millionen EinwohnerInnen und der Vielzahl an teilweise sehr kleinen Gemeinden geprägt. Dadurch ergeben sich neben unterschiedlichen Lebensstilen und Vorstellungen einer städtischen und ländlichen Bevölkerung auch ungleiche (Macht-)Positionen und nicht zu vernachlässigen gänzlich unterschiedliche Verwaltungsstrukturen. Trotz vertrauensbildender Maßnahmen ist nach wie vor manchmal eine latent vorhandene Skepsis zwischen den Wiener und niederösterreichischen AkteurInnen spürbar. Hinsichtlich der Effizienz der Kooperation werden von den Gemeinden die Verwaltung und Bürokratie der Stadt Wien als hemmend wahrgenommen. Die Gemeinden kritisieren, dass die Ansprechpersonen und Kompetenzen wenig transparent und verfügbar sind, woraus sich ein höherer Zeitaufwand für das Auffinden der richtigen Abteilung und der richtigen Person für die Gemeinden ableitet. Des Weiteren nehmen die Gemeinden wahr, dass die Personen innerhalb der Verwaltung der Stadt Wien häufiger wechseln als die in den Gemeinden und dadurch das Vorrankommen in der Zusammenar-beit verlangsamt wird.

Länderübergreifende Kooperationsstrukturen
Strukturen, die die gemeinde- und bundesländerübergreifende Zusammenar-beit im Großraum Wien in Fragen der Raumplanung ermöglichen, existieren zum Teil schon seit Jahrzehnten: Die PGO (Planungsgemeinschaft Ost) ist seit Ende der 70er Jahre die zentrale Organisation zur Vorbereitung und Ko-ordinierung raumrelevanter Aktivitäten der Länder Wien, Niederösterreich und Burgenland. Die Gesellschaft VOR (Verkehrsverbund Ostregion) fungiert seit 1984 als Schnittstelle zwischen Fahrgästen, Verkehrsunternehmen, Gebiets-körperschaften und Politik. Das Stadt-Umland-Management ist seit 2006 von den Ländern Niederösterreich und Wien damit beauftragt, die Kooperation auf Ebene der Raumentwicklung zu fördern. Der Auftrag ist darauf ausgerichtet Prozesse zu initiieren, Konflikte zu vermeiden und Bewusstsein für Kooperati-on zu schaffen.

Die Arbeit und Wirksamkeit dieser Kooperationsstrukturen wird von den interviewten AkteurInnen durchwegs positiv bewertet und man sieht keinen Handlungsbedarf, diese Strukturen grundlegend umzugestalten. Die ExpertInnen beobachten insbesondere durch die Arbeit des SUM eine Steigerung des informellen Austausches und eine vermehrte Vertrauensbildung. Betreffend der PGO sehen sie das Potential, auf dieser Ebene eine gemeinsame Zukunftsvision für die Stadtregion zu entwickeln. Die Gemeinden würden in ihrer Zusammenarbeit mit dem VOR eine verstärkte Berücksichtigung ihrer Interessen sowie eine Beschleunigung der Abläufe begrüßen.

Kooperationspotentiale

Aus ExpertInnensicht wird konstatiert, dass bei der stadtregionalen Kooperation im Großraum Wien bis jetzt vor allem Themen im Vordergrund standen, bei denen relativ leicht ein Konsens gefunden wird, wie zum Beispiel Freizeit und Erholung, Grünräume oder Tourismus. Diese Herangehensweise wird als positiv bewertet, da sich die Beteiligten kennenlernen und Vertrauen aufbauen konnten und somit eine Basis für die weitere, intensivere Zusammenarbeit geschaffen wurde. Jetzt ist es notwendig, einen Schritt weiter zu gehen und „schwierigere“ Themen wie Verkehr, Standortentwicklung und Wohnen verstärkt in Angriff zu nehmen.

Gerade von den Gemeinden wird Verkehr und Mobilität als zentrales Kooperationsthema für die Zukunft gesehen, das nur gemeinsam zu lösen ist und das praktisch zur Zusammenarbeit zwingt. Weitere Themen, bei denen die Gemeinden große Potentiale für die Zusammenarbeit sehen sind die techni-sche und soziale Infrastruktur sowie Betriebsansiedlungen. Im Siedlungsbereich ist Kooperation hingegen kein vorrangiges Thema und wird aus ExpertInnensicht nur dann stattfinden, wenn das Bewusstsein für einen gemeinsamen funktionalen Raum entsteht, in dem die Bevölkerungsdynamik nur gemeinsam zu steuern ist.

Als förderlich wird gesehen, dass die unterschiedlichen AkteurInnen immer häufiger miteinander sprechen und sich abstimmen. Insgesamt wird über den Zeitverlauf der letzten Jahrzehnte eine Bewusstseinsänderung wahrgenommen, die zwar als sehr langsam aber doch spürbar beschrieben wird. Die AkteurInnen stehen dem Thema Kooperation aufgeschlossener gegenüber und sind auch informierter als früher.

Die Notwendigkeit von Kooperation wird angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen von vielen AkteurInnen schon als selbstverständlich vorausgesetzt und die Bereitschaft, über administrative Grenzen hinaus zu schauen und zu denken, steigt. Gleichzeitig ist man sich bewusst, dass diese Veränderungen Zeit brauchen, bis sie etabliert sind und man sich in einem langfristigen Prozess befindet. Dieser Befund der langsamen Bewusstseinsänderung gilt für alle Ebenen, von den Gemeinden über die Länder bis hin zur Bundesebene.

Die verbesserte Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden wird als wichtiger Schritt in die richtige Richtung und vor allem als gute Voraussetzung für die Abstimmung mit Wien gesehen. Kritisch wird allerdings beobachtet, dass die-ser Art von informellem Austausch derzeit, was die Zusammenarbeit über die Landesgrenze hinaus betrifft, noch zu wenig zu gemeinsamen Projekten bzw. konkreten Verordnungen oder gemeinsame Plänen führt. Zwar gibt es auch zwischen Wien und den Umlandgemeinden eine Vielzahl von Kooperationen (z.B. in den Bereichen Wasser, Strom, Müll), aber diese sehr selektiven und klar auf bestimmte Zwecke eingeschränkten Vereinbarungen können noch nicht als gemeinsame Stadtregionspolitik verstanden werden.

Eine wesentliche Schwierigkeit für die stadtregionale Integration im Großraum Wien ist die Tatsache, dass die Grenze zwischen Kernstadt und Umland gleichermaßen eine Gemeinde- und Landesgrenze ist. Die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung führt im föderalistischen System dazu, dass innerhalb der Stadtregion je nach Bundesland betreffend der Raumentwicklung und deren Steuerung unterschiedliche gesetzliche Grundlagen wirksam werden. Das betrifft einerseits die Raumplanungsgesetze im engeren Sinn und damit wesentliche Zielsetzungen der räumlichen Entwicklung. Im Hinblick auf das Ziel der Schaffung leistbaren Wohnraums ist allerdings auch die Wohnbauförderung relevant.

Natürlich gibt es trotz der verfassungsrechtlichen Festlegungen prinzipiell die Möglichkeit, sich hier abzustimmen und gemeinsam Regelungen zu treffen. Da die Aussichten auf Änderungen dieser Rahmenbedingungen in einem absehbaren Zeithorizont als nicht realistisch eingestuft werden, wird angeregt eher zu überlegen, was unter den derzeitigen Rahmenbedingungen noch alles möglich ist. Gerade um die stark trennende Wirkung der administrativen Grenzen zu überwinden bräuchte es aber einen starken politischen Willen zur Abstimmung und Kooperation. Aus ExpertInnensicht ist dieser derzeit anscheinend nicht ausreichend auf der politischen Agenda beider Länder.

Die beschriebenen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen führen dazu, dass der Kooperation auf Landesebene eine wesentliche Bedeutung zukommt. Selbst bei großer Bereitschaft der einzelnen Gemeinden zur Abstimmung und Zusammenarbeit wird diese ohne Willen und Unterstützung von Landesseite keine wesentliche Veränderung der Situation mit sich bringen.

Die derzeitigen Regelungen zum Finanzausgleich und zur Kommunalsteuer sind eher destruktiv als konstruktiv für die Kooperation. Da die Kommunalsteuer nur jener Gemeinde zu Gute kommt, auf deren Gemeindegebiet sich ein Betrieb befindet, fungiert sie als Anreiz nicht über die eigenen Gemeindegrenzen hinauszudenken. Sie unterstützt ein Konkurrenzdenken und das Beschränken auf die eigenen Interessen, auch wenn ein gemeinsames Vorgehen aus gesellschaftli-cher Sicht sinnvoller sein kann.

Nächste Schritte

In der Region gibt es unter den AkteurInnen prinzipiell den Konsens, dass die Zu-sammenarbeit über Gemeinde- und Ländergrenzen sinnvoll und erwünscht ist. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Interessen und Rahmenbedingungen lassen sich aus den Ergebnissen der Studie folgende Ansatzpunkte identifizieren, um diese Zusammenarbeit auch realisieren zu können:
  • Es braucht eine politische Willensbildung zur tatsächlichen Umsetzung und einen politischer Konsens auf Landesebene über den Grad der erwünschten stadtregionalen Integration. Nur auf dieser Basis können entsprechende Managementstrukturen, Organisationsformen und Kosten-Nutzen-Ausgleichssysteme (weiter-)entwickelt werden. Erst entsprechende Kosten-Nutzen-Ausgleichssystemen ermöglichen ein Denken und Handeln über administrative Grenzen hinaus.
  • Dabei ist weniger die Schaffung neuer Strukturen als vielmehr die Abstimmung zwischen den bestehenden Strukturen bzw. die Integration in neue Strukturen anzustreben, um die Transparenz und Überschaubarkeit des gesamten Prozesses abzusichern.
  • Die gemeinsame Entwicklung einer Zukunftsvision für die Stadtregion in Form eines verbindlichen, länderübergreifenden Entwicklungskonzepts. Durch diesen Schritt, der über die reine Abstimmung der getrennt entwickelten Zielvorstellungen hinausgeht, kann eine gemeinsame Entwicklungsstrategie für die Stadtregion entstehen.
  • Die Weiterführung und Intensivierung der vertrauensbildenden Maßnahmen, die den informellen Austausch fördert, sind Teil eines langfristigen Prozesses, der eine wichtige Basis für die Zusammenarbeit darstellt.
  • In Bezug auf die größenmäßige Asymmetrie zwischen Wien und den anderen Gemeinden ist zu überlegen, wie in der Wiener Verwaltung Anknüpfungspunkte verbessert und so der Aufwand für Kooperationen für kleinere Gemeinden verringert werden kann.
  • In Hinblick auf die Schaffung von leistbarem Wohnraum in der Stadtregion könnte ein gemeinsamer Geldtopf eingerichtet werden, wo die Gemeinden Projekte einreichen können. Somit könnten Beispiele für die gemeinsame Umsetzung einer qualitätsvollen Verdichtung in öffentlich gut angebundenen Lagen entstehen, die als Vorbild für andere Gemeinden dienen.
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