Green up your City

Klimawandelanpassung als Herausforderung für den geförderten Wohnbau in Wien

Das Stadtklima in Wien ändert sich spürbar. Die Hitze nimmt zu und erhöht die Belastung der WienerInnen. Hitzewellen werden häufiger und dauern länger. Von den in Österreich 20 wärmsten Jahren seit Beginn der Messungen in der Mitte des 18. Jahrhunderts liegen 14 in den Jahren seit 2000. 2018 wurden in der Wiener Innenstadt 42 Tropennächte (Temperatur sinkt nicht unter 20 °C) verzeichnet – ein neuer Rekord. Alle Szenarien für Wien gehen von einer weiteren Steigerung der Temperaturen in Zukunft aus. Auch die Sommertrockenheit und Starkregenereignisse nehmen zu. Europa- und weltweit bereiten sich Städte und der Wohnbausektor auf diese Veränderungen vor und versuchen, die Folgen für die Gesellschaft zu mildern.

Wien und die WienerInnen sind doppelt von der Entwicklung betroffen. Zur Klimaveränderung kommt das starke Stadtwachstum hinzu, das den sogenannten urbanen Hitzeinseleffekt (höhere Temperaturen in der Stadt im Vergleich zum Umland) vergrößert. Die zunehmende Verbauung derzeit unbebauter Gebiete – im Wesentlichen Flächen der Primärproduktion sowie aufgelassener Verkehrsinfrastruktur – und die Nachverdichtung im Bestand führen zum Verlust an Grünräumen. Immer dichtere und höhere Bauweisen reduzieren die Grün- und Freiräume auf der Parzelle.

Wie zahlreiche Studien bestätigen, ist urbane grüne Infrastruktur ein wichtiges Instrument, um die Folgen des Klimawandels abzuschwächen. Naturbasierte Lösungen wie Bauwerksbegrünungen leisten einen Beitrag zur Reduktion der Hitzebelastung und unterstützen das Regenwassermanagement. Zusätzlich unterstützen sie mit ihren vielfältigen Ökosystemleistungen die Luftreinigung, steigern die Biodiversität, fördern das Wohlbefinden und die Aufenthaltsqualität und haben stadtgestalterische Wirkung.

Fehlender Platz, hohe Baulandpreise und Flächennutzungskonflikte beschränken die Möglichkeit, flächenhafte urbane grüne Infrastruktur einzurichten. Bauwerksbegrünungen – primär verschiedene Formen der Dach- und Fassadenbegrünung – benötigen hingegen keine zusätzlichen Flächen und schaffen Grünräume in einer weiteren Dimension. Sie können zwar die Errichtung von wohnungsbezogenen Grün- und Freiräumen, Parks und öffentlichen Grünräumen nicht ersetzen, sind aber eine wichtige Ergänzung zu urbanem Grün. Viele erfolgreich umgesetzte Beispiele von Gebäudebegrünungen belegen ihre positiven Wirkungen. Sie tragen zur Kühlung der Umgebung und der Innenräume bei, steigern den Regenwasserrückhalt, erhöhen die biologische Vielfalt und verbessern die Wohnzufriedenheit.
Die Anpassung an den Klimawandel und die Sicherung einer hohen Lebensqualität bei steigender urbaner Dichte gewinnen in der Stadtentwicklung und im Wohnbau zunehmend an Bedeutung. Der geförderte Wohnbau in Wien ist dabei ein wichtiger Ansatzpunkt.

Ziele und Inhalt der Studie

Im Rahmen des Projekts „Green up your City“ wurde eine Grundlagenstudie zur Umsetzbarkeit von Fassaden- und Dachbegrünungen im geförderten Wohnbau erarbeitet. Darauf aufbauend wurden strategische Handlungsempfehlungen zur Forcierung von Gebäudebegrünungen im geförderten Wohnbau in Wien abgeleitet.

Die forschungsleitenden Fragen waren:
  • Wie wird Gebäudebegrünung derzeit im geförderten Wohnbau in der Praxis umgesetzt?
  • Welche Erfolgsfaktoren unterstützen die Umsetzung von Gebäudebegrünung?
  • Welche Leistungen erbringt Gebäudebegrünung für die BewohnerInnen?
  • Wie lässt sich Gebäudebegrünung im geförderten Wohnbau forcieren?

Zur Bearbeitung der Fragestellung wurde ein Mixed-Method-Ansatz aus quantitativen und qualitativen sowie sozialwissenschaftlichen und planerischen Methoden gewählt. Das Methodenset beinhaltete u.a. die Sammlung von Gute-Praxis-Beispielen und deren Auswertung, qualitative, leitfadengestützte ExpertInneninterviews sowie ein umfassendes Literaturreview.

Gebäudebegrünungen und ihre Leistungen für die BewohnerInnen

Gebäudebegrünung wirkt auf unterschiedlichen Ebenen. Das Gebäude selbst, die BewohnerInnen, sein Umfeld und der Stadtraum profitieren von der Begrünung und ihren vielfältigen Ökosystemleistungen. Unter dem Begriff Ökosystemleistungen werden alle Leistungen zusammengefasst, die Ökosysteme für den Menschen erbringen. Der Nutzen, den die Menschen aus den Ökosystemleistungen ziehen, kann materieller, gesundheitlicher oder psychischer Natur sein. Differenziert wird zwischen (1) Regulierungsleistungen, (2) sozio-kulturellen Leistungen (3) Versorgungsleistungen und (4) Habitatleistungen.

Gebäudebegrünungen liefern vor allem regulierende und sozio-kulturelle Leistungen. Mit dem Begriff Regulierungsleistungen werden all jene Leistungen zusammengefasst, welche aus der Regulation von Ökosystemprozessen resultieren Dazu zählen etwa die Temperaturregulierung, die Luftreinigung oder die Regulierung des Wasserhaushaltes. Als sozio-kulturelle Leistungen bezeichnet man alle nicht materiellen Leistungen, wie zum Beispiel Erholung, ästhetisches Empfinden, spirituelle Erfahrungen, soziale Funktionen oder kulturelle Identität. Mögliche Beiträge zur Versorgungsleistung beschränken sich in Bezug zur Bauwerksbegrünung auf die Produktion von Nahrungsmitteln des eigenen Bedarfs (z.B. Obst- und Gemüseanbau in Privat-/Gemeinschaftsdachgärten). Basis- und Habitatleistungen wie der Nährstoffkreislauf bilden die Grundlage für die Existenz von Ökosystemen.

Regulierungsleistungen und sozio-kulturelle Leistungen von Gebäudebegrünung zur Steigerung der Wohnzufriedenheit der BewohnerInnen

Die Wirkung urbaner grüner Infrastruktur als naturbasierte Lösung zum Umgang mit den Herausforderungen des Klimawandels und der zunehmenden städtischen Verdichtung ist nicht nur wissenschaftlich belegt, sondern wird für die (Wohn-)Bevölkerung immer wichtiger. Grünräume leisten in vielfacher Hinsicht einen positiven Beitrag zur Lebensqualität: sie bieten einen Kontrast zur bebauten Umwelt, der zur Erholung beiträgt, verbessern die mentale Gesundheit und physische Fitness und ermöglichen soziale Kontakte.

Die Temperaturregulation durch Beschattung und Evapotranspiration ist dabei eine der wichtigsten Leistungen von Gebäudebegrünung. Sie unterstützt aber auch die Gebäudedämmung und schützt Dachabdichtungen und die Fassade durch geringere Temperaturschwankungen. Dachbegrünungen leisten einen Beitrag zum Regenwassermanagement, da bereits bei extensiven Dachbegrünungen über 60% des Niederschlagswassers zurückgehalten werden können. Dies führt zu einer Verringerung der (Hochwasser-)Abflussspitzen und mengen. Begrünte Dächer und Fassaden tragen durch ihre Filterwirkung und ihr Feinstaubbindungspotenzial zur Verbesserung der Luftqualität bei. Die Lärmreduktion durch Vegetation, also Schalldämmung durch Reflexion und Absorption, ist eine weitere positive Leistung.

Neben den regulierenden Aspekten erfüllt Gebäudebegrünung sozio-kulturelle Leistungen für die BewohnerInnen. Begrünte Gebäude sind ästhetisch ansprechender, haben eine höhere Erholungswirkung und erfreuen sich zunehmender Beliebtheit bei der Bevölkerung. Begrünungen können ein Lernumfeld bieten und das Naturbewusstsein – insbesondere von Kindern und Jugendlichen – steigern. Die Wohnsituation zählt zu den wichtigsten Faktoren für Gesundheit und Wohlbefinden. Gebäudebegrünung steigert (auch nur durch Betrachtung) das psychische Wohlbefinden und hat stressreduzierende Wirkung. Nutzbare Grünräume bieten Möglichkeiten zur Begegnung und damit zur sozialen Interaktion und Empowerment. Das gemeinsames Gärtnern („Rooftop Gardening“) verbindet Generationen und Kulturen. Ein gesteigertes soziales Wohlbefinden hat wiederum positive Auswirkungen auf die psychische als auch physische Gesundheit.

Umsetzung von Gebäudebegrünungen im geförderten Wohnbau in Wien

Seit der Errichtung der ersten Gemeindebauten in der Zwischenkriegszeit gibt es in Wien eine Tradition des wohnungsbezogenen Grüns im geförderten Wohnbau. Beginnend mit dem 1919 und 1920 gebauten Metzleinstaler Hof (und intensiv ab 1923) wurde ein umfassendes Wohnbauprogramm umgesetzt. Die kommunale Wohnbautätigkeit war geprägt durch das Bestreben, Wohnraum zu entwickeln und gleichzeitig die Wohnqualität – im Vergleich zu den Verhältnissen des spekulativen privaten Wohnbaus der Gründerzeit – zu verbessern. Der Bebauungsgrad wurde im Vergleich zur Gründerzeit (bis 85%) auf maximal 50% herabgesetzt. Mit den dadurch entstandenen großzügigen Höfen gab es ausreichend Grünflächen (und Kinderspielplätze) für die BewohnerInnen, aber auch für die umliegenden Bereiche. So wurden z.B. im Karl-Marx-Hof nur 23% der Fläche verbaut. Das übergeordnete Ziel war, ausreichend Licht, frische Luft und Bewegungsraum bereitzustellen.

Die städtebaulichen Rahmenbedingungen und die Anforderungen an qualitätsvollen Wohnbau haben sich seither natürlich verändert. Urbane Dichte reduziert den Flächenverbrauch und hilft, soziale und technische Infrastruktur effizient zu nutzen. Um den Bodenverbrauch für die Stadterweiterungsprojekte zu reduzieren, wird wieder zunehmend auf verdichtete Bebauungsformen gesetzt. Mit dieser Verdichtung sind aber auch negative Folgen – insbesondere durch reduzierte Grünräume – verbunden.

Für die Studie wurden insgesamt rund 90 Beispielen im geförderten Wohnbau erfasst, die sich durch verschiedene Bebauungstypologien, Finanzierungsformen und Baualter auszeichnen. Die Beispiele zeigen, dass Gebäudebegrünung im geförderten Wohnbau in Wien bereits erfolgreich umgesetzt wird. Sowohl im „klassischen Gemeindebau“ als auch an Objekten, die mit unterschiedlichen Instrumenten der Wohnbauförderung entwickelt wurden, lassen sich viele Beispiele finden. Erste Umsetzungen von Gebäudebegrünung finden sich in der Phase der Zwischenkriegszeit. Deutlich mehr Beispiele wurden ab 1990 gefunden – insbesondere in der letzten Dekade wurden sehr viele Objekte mit Gebäudebegrünung entwickelt und realisiert. Auch wurden in den letzten beiden Dekaden im Zuge von Sanierungen nachträglich Gebäudebegrünungen umgesetzt. Die gefundenen Beispiele sind über das gesamte Stadtgebiet verteilt. Betrachtet man die Verteilung nach Bezirken, finden sich vermehrt Beispiele in den sogenannten Flächenbezirken Favoriten, Floridsdorf, Donaustadt und Liesing, bedingt durch die Stadterweiterungsprojekte in diesen Bezirken.

Eine Analyse der Begrünungsformen zeigt, dass Gebäudebegrünung bei allen diesen städtebaulich und bautypologisch stark unterschiedlichen Gebäuden umgesetzt werden kann. Auch wurden Beispiele aus allen unterschiedlichen Finanzierungsformen des geförderten Wohnbaus in Wien gefunden.

Forcierung der Gebäudebegrünung zur Anpassung an den Klimawandel und zur weiteren Verbesserung der Lebensqualität im geförderten Wohnbau

Wien hat sich erfolgreich als Stadt positioniert, die urbane Dichte mit hoher Lebensqualität verbindet. Der geförderte Wohnbau hat dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet. In Bezug zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels und dem Grünraumverlust durch Stadtverdichtung ist der geförderte Wohnbau in Wien ein zentraler „Hebel“, da rund 60% der WienerInnen in geförderten Wohnungen oder in Gemeindewohnungen leben.

Insbesondere sozial benachteiligte und einkommensschwache Gruppen sind aufgrund ihrer häufig schlechteren Wohnsituation von den Folgen des Klimawandels stärker betroffen. Ältere und sonstige in ihrer Mobilität eingeschränkte Personen (Kinder, chronisch Kranke) – die auch durch die Hitzebelastung besonders gefährdet sind – sind für Erholungszwecke auf das unmittelbare Wohnumfeld angewiesen. „Grün“ ist in der Stadt nicht gleich bzw. gerecht verteilt – gerade in hoch verdichteten sowie in sozial benachteiligten Quartieren herrscht ein Mangel. Die Umsetzung von Gebäudebegrünung im geförderten Wohnbau ist besonders wichtig, damit es zu keiner „Grünen Gentrifizierung“ kommt. Studien zeigen, dass Wohnviertel durch Begrünungen aufgewertet werden und damit einhergehend die Mieten und Wohnpreise steigen. Da die Mieten im geförderten Wohnbau gedeckelt sind, wird einer „Grünen Gentrifizierung“ vorgebaut. Klimawandelanpassung durch Gebäudebegrünungen im geförderten Wohnbau unterstützt die soziale Gerechtigkeit.

Wie bei der Integration der Klimaschutzpolitik in den Wiener Wohnbau (Bsp. thermische Sanierung, Umstellung der Heizungen etc.) sollte es auch das Ziel sein, die Klimawandelanpassungspolitik mit der Wohnbaupolitik der Stadt Wien stärker zu verknüpfen. Klimapolitik ist nicht nur Umweltpolitik, sondern für alle Ressorts wichtig. Eine Forcierung von Gebäudebegrünungen im geförderten Wohnbau braucht beides – eine rechtliche Verpflichtung sowie eine Förderung und Unterstützung der Umsetzung von Gebäudebegrünungen. Eine stärkere Verankerung von Gebäudebegrünung in den Strategien des Wohnbausektors sowie eine stärkere Integration in die verschiedenen Fördermodelle und Qualitätskriterien des geförderten Wohnbaus schaffen die Voraussetzungen für die Unterstützung einer breiten Umsetzung.

Gebäudebegrünungen erbringen vielfältige Leistungen für die BewohnerInnen. „Grüne“ Infrastruktur hat im Gegensatz zu „grauer“ Infrastruktur immer einen zusätzlichen Mehrwert, der über die primäre Funktion hinausgeht. Neben dem Kühleffekt durch Evapotranspiration leisten sie einen zusätzlichen Beitrag zur Erhaltung der Biodiversität, zur Steigerung des Wohlbefindens und zur Gesundheit. Gerade dieser Mehrwert, die vielfältige Wirkung von urbaner grüner Infrastruktur, macht Gebäudebegrünungen zu einer effizienten und effektiven Anpassungsmaßnahme. Gleichzeitig tragen sie zur Sicherung der hohen Lebensqualität der BewohnerInnen bei.

Fachlich korrekt ausgeführte Gebäudebegrünungen verhindern „Fehlanpassungen“ wie z.B. Fahrten mit dem Auto ins kühlere Umland oder den Kauf von Klimageräten. Heute vermeintlich kostensteigernde Maßnahmen für den Hitzeschutz oder das Regenwassermanagement reduzieren die zukünftigen Kosten. Ein heutiges „Nicht-Handeln“ bedeutet, in Zukunft wesentlich höhere Kosten durch nachträgliche Anpassung in Kauf zu nehmen. Zukunftssicher planen und bauen bedeutet, den scheinbaren Zielkonflikt zwischen kostengünstigem und klimaresilientem Wohnen durch die Berücksichtigung der Lebenszykluskosten und zusätzlicher Folgekosten für die BewohnerInnen (Klimaanlagen, Energieverbrauch) aufzulösen.

Die Anpassung an den Klimawandel und die Reaktion auf den zunehmenden Grünraumverlust im Zuge des Stadtwachstums bieten für den Wohnbausektor in Wien erneut die Möglichkeit, seine international anerkannte Vorreiterrolle im Bereich des geförderten Wohnbaus weiter ausbauen. Die Stadt Wien kann ihre Expertise in der klimaresilienten und grünen Stadtentwicklung sowie ihre Vorbildfunktion nutzen, um die Akzeptanz von Gebäudebegrünungen in der Bevölkerung zu verbessern und sich gleichzeitig im internationalen Wettbewerb der Städte zu positionieren.
Fakten
  • Projektträger
    Universität für Bodenkultur Wien
    Department für Raum, Landschaft und Infrastruktur
    Peter-Jordan-Straße 65
    1180 Wien
  • Projektteam
    DI Dr. Florian Reinwald
    Assoc. Prof.in DIin Dr.in Doris Damyanovic
    Roswitha Weichselbaumer, B.Sc.
    DIin Mag.a Ursula Liebl
    Ao.Univ. Prof.in DIin Dr.in Christiane Brandenburg
  • Projektlaufzeit
    2018-2019
  • Downloads
  • Endbericht 7.32 MB
    Kursfassung 513.09 KB