Berichtsstandard Wohnbauförderung 2018
Die Wohnbauförderung ist eines der sozial-, wirtschafts- und umweltpolitisch wichtigsten Politikinstrumente auf Ebene der Bundesländer. Es zeigt sich, dass besonders fruchtbare Impulse für die Weiterentwicklung des Instruments von der Kenntnis seiner Anwendung in anderen Bundesländern und in anderen Staaten ausgehen können. Das „Lernen von den Besten“ stößt allerdings insofern an Grenzen, als sich die Förderungsmodelle tendenziell immer weiter differenzieren und nur wenig vergleichende Information verfügbar ist.
Die Stadt Wien hat es sich zur Aufgabe gemacht, unter Heranziehung des IIBW, Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen GmbH, die Praxis und Gebarung der Wohnbauförderung in Österreich zu dokumentieren. Mit dem vorliegenden „Berichtsstandard Wohnbauförderung“ wurde ein Vehikel geschaffen, das es Politik und Administration erleichtert, die eigene Performance im Vergleich zu positionieren und Verbesserungsmöglichkeiten zu identifizieren. Der „Berichtsstandard Wohnbauförderung“ gibt einen knappen, präzisen und aktuellen Überblick über die Förderungsaktivitäten aller Bundesländer und positioniert gleichzeitig das Bundesland Wien im Ländervergleich. Der IIBW-Berichtsstandard Wohnbauförderung bietet eine Dichte an Informationen zu diesem Politikbereich, wie sie sonst nirgends verfügbar ist. Durch die langjährige intensive Befassung mit dem System und der Statistik der Wohnbauförderung verfügt das IIBW über die österreichweit beste Datenbasis in diesem Bereich. Viele der in diesem Bericht versammelten Daten sind einzig hier dokumentiert.
Hauptergebnisse
Starke Bevölkerungsentwicklung, gute Wohnversorgung
Österreich zeigt im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre die im Vergleich zu den Nachbarländern stärkste Bevölkerungsentwicklung. Gleichzeitig zeigen fast alle Indikatoren eine vergleichsweise sehr gute Wohnversorgung der Bevölkerung. Die Wohnkosten und der Anteil des Haushaltseinkommens, der für Wohnen aufzuwenden ist, liegen – trotz starker Marktdynamik – nach wie vor unter dem Ni- veau der Nachbarländer und dem EU-Durchschnitt. Die Wohnungsmarktdynamik dürfte ihren Höhe- punkt überschritten haben, nicht zuletzt wegen der massiv gestiegenen Neubautätigkeit.
Vorbildliches wohnungspolitisches System
Österreich setzt, ähnlich wie die Niederlande, Dänemark oder Schweden, aber anders als z.B. Deutsch- land oder Großbritannien, auf einen großen gemeinnützigen Wohnungssektor, der für breite Bevölke- rungsschichten zugänglich ist. Die guten Kennzahlen haben dazu beigetragen, dass das österreichi- sche Modell international zunehmend als Vorbild wahrgenommen wird.
Neubauboom am Höhepunkt
2017 wurden österreichweit fast 77.000 Wohnungen baubewilligt. Das ist ein historischer Höchstwert. Nicht einmal in den Boomjahren der frühen 1970er und der 1990er Jahre wurde so viel gebaut. Vor allem in Wien schnellten die Neubauzahlen auf annähernd 24.000 Bewilligungen hoch. 2018 zeichnet sich allerdings bereits eine Beruhigung mit „nur“ noch etwas über 70.000 (in Wien etwa 20.000) Bewil- ligungen ab. Die stark gestiegenen Bewilligungszahlen wirken sich zeitverzögert als Fertigstellungen am Wohnungsmarkt aus. Schon 2017/18 haben die Fertigstellungen stark zugelegt. 2019 ist aufgrund des kräftigen Schubs an Neubauwohnungen eine Entspannung am Wohnungsmarkt zu erwarten. In Wien und der Steiermark hat die Wohnungsproduktion die Nachfrage mittlerweile deutlich überstiegen.
Sinkende Förderungsausgaben, hohe Selbstfinanzierungskraft
Zwischen 1996 und 2015, somit zwanzig Jahre lang, machten die Wohnbauförderungsausgaben kon- stant € 2,5 und 3 Mrd. aus, allerdings ohne Anpassung an die Inflation oder das Steueraufkommen. Seither sinken sie stark. Die Ausgaben 2007 von nur noch € 2,30 Mrd. sind der zweitniedrigste Wert seit den frühen 1990er Jahren. Hauptgründe dafür sind starke Rückgänge bei der Eigenheim-, bei der Sanierungs- und der Subjektförderung. Die Förderung des Geschoßwohnbaus lag 2007 demgegen- über nur moderat unter dem langjährigen Durchschnitt. Ausschlaggebend war darüber hinaus, dass sich mehrere Bundesländer die historisch niedrigen Kapitalmarktzinsen durch entsprechende Förde- rungsmodelle zunutze machen. Die Finanzierung der Wohnbauförderung ist im Wandel. Zweckzu- schüsse stehen seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr zur Verfügung. Dafür gewinnen die Rückflüsse aus ausstehenden Darlehen wachsende Bedeutung. Mit dem Finanzausgleich 2017 wurde der Wohn- bauförderungsbeitrag in Höhe von 1% der Lohnsumme, das sind mittlerweile fast € 1,1 Mrd., in eine Länderabgabe umgewandelt. Mit diesen beiden Komponenten gelingt es mittlerweile sechs von neun Bundesländern, ihre Wohnbauförderungsausgaben zu bestreiten.
Großvolumige Neubauförderung konstant, Eigenheimförderung weiter auf Talfahrt
2017 wurden Förderungen für insgesamt 21.900 Geschoßwohnungen zugesichert. Die großvolumige Förderung entwickelt sich damit bemerkenswert konstant. Ganz im Gegensatz dazu verliert die Eigen- heimförderung weiter an Boden. Die 4.900 Zusicherungen 2017 sind nur noch halb so viele wie vor zehn Jahren und ein Viertel der Förderleistung in den 1990er Jahren. Nur noch jede zweite Geschoß- wohnung und unter 30% der Eigenheime werden mit Wohnbauförderungsmitteln kofinanziert. Das hilft zwar bei der Eindämmung öffentlicher Aufwendungen. Es gehen aber gleichzeitig wichtige Lenkungs- effekte verloren, beispielsweise hinsichtlich Klimaschutz.
Niedrigste Sanierungsrate seit zehn Jahren
Die Ausgaben für Sanierungsförderungen sind ebenso rückläufig wie die Zusicherungen. Wurden 2010 noch Förderungen für fast 35.000 umfassende Sanierungen zugesichert (womit damals die Neubau- förderung übertroffen wurde), waren es 2017 nur noch 13.600 Vorhaben. Das ist ein Rückgang um 60%! Selbst unter großzügiger Hinzurechnung nicht geförderter energetischer Sanierungen resultiert eine Sanierungsrate von höchstens 0,7%. In der aktuellen Klima- und Energiestrategie ist demgegen- über ein Zielwert von 2,0% vorgegeben. Die geplante vollständige Dekarbonisierung des Gebäude- sektors bis 2050 verlangt zweifellos mittelfristig deutlich höhere Raten. Die Sanierungsförderung der Länder ist mit weit über € 500 Mio. – trotz -22% zum zehnjährigen Durchschnitt – immer noch gut do- tiert. An den Fördervolumina allein kann es also kaum liegen. Es scheint unumgänglich, neben ver- besserten, sehr spezifisch auf die Besonderheiten der einzelnen Sektoren eingehenden Förderungs- modellen, flankierende Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, von wohn- und steuerrechtlichen Maßnahmen bis zu einer umfassend angelegten Kommunikationsstrategie.
Beitrag des Wohnbaus zum Klimaschutz
Die Treibhausgase aus dem Gebäudesektor steigen seit 2015 wieder an, einerseits wegen dem Neu- bauboom, andererseits wegen unzureichender Ergebnisse in der Sanierung. Die thermischen Mindest- standards in der Förderung wurden nach dem Finanzausgleich 2017 dem Baurecht angeglichen, das schrittweise bis 2021 Niedrigstenergiestandard vorsieht. „Passivhausstandard“ ist damit förderungs- rechtlich passé. Die durchschnittlichen Verbrauchswerte im Neubau entwickeln sich dennoch in die beabsichtige Richtung. Und auch bei umfassenden Sanierungen weist der erzielte durchschnittliche Heizwärmebedarf von 45 kWh/m².a in die richtige Richtung. Nur fehlt es eben an einer Skalieriung.
Neupositionierung der Wohnbeihilfe
Die Wohnbeihilfe wurde vor 50 Jahren als Ergänzung zum objektgeförderten Neubau eingeführt. Seit zwanzig Jahren steht sie (in 8 von 9 Ländern) auch für privat vermietete Wohnungen zur Verfügung (in wenigen Ländern auch für Eigentum). Seit 2010 besteht – neben der Wohnbauförderung – die Bedarfsorientierte Mindestsicherung, die auch eine „Abdeckung von Wohnbedarf“ beinhaltet. Die Schnittfläche zur Wohnbeihilfe ist diffus und wird länderweise stark unterschiedlich gehandhabt. Es bietet sich eine Zusammenführung der Instrumente an, wobei eine Ressortzuteilung nur beim Sozialen in Frage kommt. Mehrere Länder arbeiten an derartigen Lösungen. In der Steiermark wurde eine Zu- sammenführung bereits vollzogen.
Frauen im Fokus der Wiener Wohnungspolitik
Angesichts der neuen Geschäftsgruppeneinteilung in der Wiener Landesregierung befasst sich das Schwerpunktthema mit „wohnungspolitischen Instrumenten für Frauen im internationalen Vergleich“. Frauen sind am Wohnungsmarkt vor allem wegen ihres gegenüber Männern deutlich unterdurch- schnittlichen Einkommens benachteiligt. Der Einkommensunterschied zwischen Frauen und Männern („gender pay gap“) verringert sich zwar sukzessive, ist aber immer noch einer der höchsten im EU- Vergleich. Erschwerend kommt der im Vergleich sehr hohe Anteil an Teilzeitarbeit von Frauen und massive Einkommensverluste nach der Babypause hinzu. Es geht also nicht so sehr um die Qualität des Wohnens, sondern um die Leistbarkeit und Fragen der Selbstbestimmung. Den spezifischen Be- dürfnissen und Interessen von Frauen wird in der Wiener Wohnungspolitik mit einem Bündel von Instrumenten begegnet. Frauengerechtes Wohnen ist ein wichtiger Aspekt von Gender-Politik.
Gemeindebau und Wohnbeihilfe machen Wohnen für Frauen leistbar
Die Benachteiligung bei der Leistbarkeit des Wohnens betrifft vor allem Alleinerzieherinnen, alleinste- hende Seniorinnen und Frauen in großen Familien. Um dem entgegenzuwirken, werden Wohnungs- werberinnen aus diesen Gruppen bei der Vergabe von Gemeindewohnungen und der Wohnbeihilfe bevorzugt behandelt. Ein stark überdurchschnittlicher Teil der alleinstehenden Seniorinnen, ein Drittel aller Alleinerzieherinnen und fast die Hälfte aller Großfamilien mit drei und mehr Kindern leben kosten- günstig im Gemeindebau. Wohnbeihilfen sind aufgrund ihrer einkommensbezogenen Berechnung sozial besonders zielgenau und kommen überproportional Frauen und den angesprochenen speziellen Gruppen zugute. 61% der BeihilfenbezieherInnen sind Frauen, davon jeweils etwa ein Drittel Alleiner- zieherinnen und weibliche Pensionistinnen.
In Frauenwohnprojekten entwickelte Planungsgrundsätze sind im Regelwohnbau angekommen
Seit den 1990er werden in Wien Wohnprojekte von und für Frauen realisiert. Ihr Anspruch reicht von besserer Alltagstauglichkeit und Nachbarschaft bis zum politischen Anspruch neuer alternativer Lebens- modelle. Den Anfang machte in den 1990er Jahren die „Frauen-Werk-Stadt“ in Floridsdorf. Es folgten die „Frauen-Werk-Stadt II“ und mehrere Projekte des Vereins [ro*sa]. Angesichts ihrer herausragen- den Qualitäten sind viele dieser Vorhaben zu internationalen Leuchtturmprojekten geworden.
Frauengerechte Planung von Wohnungen und Nachbarschaften
Die besonderen Bedürfnisse von Frauen sind objektivierbar und wurden aufgrund dessen in die Leit- linien der Stadt für alltags- und frauengerechtes Planen und Bauen aufgenommen. Sie betreffen Aspekte wie die Alltagstauglichkeit von Wohnungen, flexible und adaptierbare Wohnungsgrundrisse, die Verbesserung von Sicherheit und Sicherheitsgefühl, die Vermeidung von Angsträumen, die Begünsti- gung von nachbarschaftlichen Kontakten, die Schaffung qualitätsvoller Gemeinschaftsräume, eine gute Verkehrsanbindung auch ohne PKW, ein dichtes Angebot an sozialer Infrastruktur u.v.m. Durch ihre Umsetzung mit den leistungsstarken Instrumenten der Wohnbauförderung, der Bauträgerwettbewerbe und des Grundstücksbeirats haben sich diese Leitlinien sehr rasch im gesamten Wohnungsneubau in Wien etabliert. Wien wurde dadurch zu einem internationalen Vorreiter. Ein aktueller Meilenstein ist die Umsetzung dieser Schwerpunkte im Rahmen der laufenden Internationalen Bauausstellung.